Gestern waren wir auf der BioWest 2025 in Düsseldorf und wie versprochen, kommt hier nun unser ehrlicher Rückblick zu den Vorträgen, Diskussionen und der Stimmung vor Ort.
Ein Blick auf den Fachhandel – leider ohne Zahlen
Geplant war ein Vortrag von Simon Döring zu den aktuellen Zahlen und Entwicklungen im Bio-Fachhandel. Leider fiel dieser krankheitsbedingt aus – sehr schade, denn gerade diese fundierte Einordnung hätte der nachfolgenden Diskussion eine wertvolle Grundlage gegeben.
„Unterschätzter Wirtschaftsfaktor: Bio sichtbar machen“ – Podiumsdiskussion
Stattdessen startete direkt die Podiumsdiskussion mit der Frage: Wie kann die Biobranche sichtbarer werden?
Besonders toll fanden wir, dass vor der Diskussion die wirtschaftliche Bedeutung der Biobranche eindrucksvoll herausgestellt wurde: Wenn man die erneuerbaren Energien mit einbezieht, beschäftigt der Biosektor genauso viele Menschen (767.000) wie die Automobilbranche – eine Tatsache, die in der öffentlichen Wahrnehmung viel zu selten ankommt.
Diese Zahlen unterstrichen die Dringlichkeit des eigentlichen Diskussionsthemas: Der Naturkostfachhandel leidet weiterhin, obwohl der Absatz von Bio-Lebensmitteln insgesamt im Vergleich zum Vorjahr wieder steigt. Die Käufe finden allerdings zunehmend im LEH oder bei Discountern statt, nicht im Fachhandel.
Als es um die mutmaßlichen Gründe dafür ging, lag der Fokus auf dem Bewusstsein der Verbraucher*innen für hochwertige Lebensmittel. Es müsse gestärkt werden, so der Tenor.
Wir sehen das etwas anders:
Bewusstsein allein wird das Problem nicht lösen. Der typische Naturkostfachhandel-Kunde hat in der Regel ein überdurchschnittliches Einkommen – und kauft dort nicht (nur), weil er besonders „bewusst“ ist, sondern weil er es sich leisten kann.
Natürlich lässt sich argumentieren, dass Prioritäten verschoben werden könnten. Aber es ist schlicht realitätsfern, das flächendeckend von Verbraucher*innen zu erwarten. Wer mit seinem Einkommen ohnehin schon haushalten muss, wird nicht plötzlich den Wocheneinkauf im Bioladen tätigen, nur weil er ein Plakat über Bodenqualität gesehen hat.
Dazu kommt:
Der Naturkostfachhandel ist als Konzept gar nicht massentauglich. Es gibt schlicht nicht genug Läden, Personal oder Strukturen, um flächendeckend die gesamte Bevölkerung zu versorgen.
Vielleicht ist es an der Zeit, sich vom Gedanken zu verabschieden, dass sich die Verbraucher*innen wieder „zurück“ in den Fachhandel bewegen – und stattdessen zu fragen:
Wie kann sich der Naturkostfachhandel neu erfinden?
Welche Rolle kann er künftig spielen – mit all seinen Stärken wie Beratung, Vertrauen, Nähe – aber vielleicht auch mit einem anderen Selbstverständnis?
Wir finden, auch ein Blick nach innen schadet in dieser Diskussion nicht –
Wie gut sind die eigenen Mitarbeitenden in der Bio-Branche denn bezahlt? Können sie selbst regelmäßig im Bioladen einkaufen, ohne auf alles andere verzichten zu müssen?
Und außerdem ist eines für uns schon lange klar:
Die Verantwortung für nachhaltigen Konsum auf Einzelpersonen abzuwälzen, ist überholt und funktioniert auch nur bedingt. Die großen Hebel liegen auf politischer und unternehmerischer Ebene – nicht bei Einzelpersonen.
Auch das Thema Bürokratieabbau war präsent – und ja, da herrscht wohl breite Einigkeit: Es braucht dringend Entlastung für Bio-Landwirt*innen und Unternehmen, um konkurrenzfähig zu bleiben und sich auf ihre eigentlichen Stärken zu konzentrieren.
Naturkosmetik: Potenzial erkannt – aber noch nicht ausgeschöpft
Der zweite Vortrag des Tages kam von Mirja Eckert und widmete sich der Naturkosmetik im Fachhandel. Ihre zentrale These: Hier liegt ungenutztes Potenzial.
Einige ihrer wichtigsten Punkte:
• Naturkosmetik erzielt im Fachhandel oft höhere Gewinne als Bio-Lebensmittel – trotzdem bleibt das Sortiment in vielen Bio-Läden überschaubar.
• Der Markt wächst nicht mehr so stark, hat dafür aber Stabilität gewonnen. Im Vergleich zum Gesamtkosmetikmarkt schneidet der Bereich Naturkosmetik sogar besser ab.
• Absatzwege verändern sich aktuell stark, doch der Fachhandel reagiert zu zögerlich.
• Innovation fehlt in der Naturkosmetik, gerade aus Deutschland könnte mehr kommen.
• Beratung war im Fachhandel früher ein Alleinstellungsmerkmal – heute stark vernachlässigt.
• Auch das Marketing für Naturkosmetik schwächelt – dabei wäre genau hier mehr Sichtbarkeit dringend nötig.
Unsere Gedanken dazu:
Wir stimmen vielem zu – vor allem, was das Thema Innovation angeht. Gerade mittel- und langfristige Trends könnten im Naturkosmetikbereich stärker aufgegriffen werden, um neue Zielgruppen zu erreichen. Das darf man nicht den konventionellen Marken überlassen.
Auch das Marketing hat Luft nach oben: Die Qualität und Werte hinter Naturkosmetik-Produkten müssen besser erzählt werden.
Das Thema Beratung sehen wir ebenfalls als wichtig – aber vermutlich nicht als den entscheidenden Hebel. Gute Beratung kann helfen, aber die strategischen Fragen liegen tiefer: Sortiment, Positionierung, Zielgruppenansprache.
Und sonst so? Unser Messefazit: Persönlich, lohnend, zuversichtlich.
Abseits der Vorträge hat uns die Messe in diesem Jahr wieder positiv überrascht. Die Atmosphäre war persönlich, fast familiär – viele gute Gespräche auf Augenhöhe, ehrlicher Austausch, wenig Show.
Besonders erfreulich war es, unsere Bestandskunden wie Sonett, Sodasan und Bioturm vor Ort zu besuchen und sich mal wieder persönlich auszutauschen. Und sogar ein paar alte Kontakte konnten wir wieder auffrischen – manchmal sind es gerade diese Begegnungen, die unerwartete Möglichkeiten eröffnen oder längst vergessene Projekte wiederbeleben.
Wir gehen mit dem Gefühl nach Hause, dass sich unser Besuch absolut gelohnt hat: wertvolle Kontakte – und auch ein paar konkrete Gespräche mit echter Perspektive auf zukünftige Partnerschaften.
So darf Messe gerne sein!